Das Recht der öffentlichen Wiedergabe aus Art. 3 Abs. 1 InfoSocRL ist ein steter Quell für EuGH-Entscheidungen im Urheberrecht. Diesmal (EuGH v. 20.4.2023 – C-775/21 und C-826/21 – Blue Air Aviation SA/UCMR-ADA und UPFR/SNTFC) zu den folgenden Fragen:
- Ist das Abspielen von Hintergrundmusik in Flugzeugen oder Zügen eine öffentliche Wiedergabe? Antwort: Ja.
- Ist bereits das Vorhalten einer Lautsprecheranlage (noch dazu einer gesetzlich - etwa für Durchsagen - vorgeschriebenen) an Bord eines Flugzeugs oder eines Zuges eine öffentliche Wiedergabe? Antwort: Nein
- Ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, aus dem Vorhandensein einer solchen Anlage eine (widerlegliche) Vermutung abzuleiten, dass darüber tatsächlich öffentliche Wiedergaben stattfinden? Antwort: Nein.
Prof. Eichelberger hat die Entscheidung in ZUM 2023, 660-666 besprochen. Während 1. und 2. weitestgehend (erfreuliche) Klarstellungen sind, bleibt bei 3. leider die zentrale Frage offen: Was genau versteht der EuGH unter einer – unionsrechtlich unzulässigen – »widerleglichen Vermutung«? Völlig ohne »Vermutungen« wird man (auch) im Urheberrecht nicht auskommen. Man denke etwa im Online-Bereich an die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Internetanschlussinhabers. Auch der EuGH akzeptiert bestimmte »Vermutungen« beispielsweise im Bereich der Vergütung für Privatkopien (Art. 5 Abs. 2 lit. b InfoSocRL). Hier bleibt somit viel Raum für Interpretation und bestimmt weitere Vorabentscheidungsersuchen.